Bremswege unterschiedlicher Fahrzeuge im Vergleich
Beim Caravan-Gespann qualmen die Reifen

Im Notfall zählt jeder Meter. Die Länge des Bremswegs hängt auch vom Fahrzeugtyp ab. Durch regelmäßige Wartung und richtiges Beladen können GespannfahrerInnen ihren Bremsweg optimieren.

Bremsweg-Vergleich Caravan
Foto: Jörg Künstle

Stress auf dem Weg in den Urlaub ist das Letzte, was man gebrauchen kann. Doch herrlich leergefegte Straßen wie während der Hochphase der Corona-Pandemie gehören schon wieder der Vergangenheit an. Längst ist er wieder Normalfall, der Stau vorm Eichelberg, am Kreuz Leverkusen oder vorm Elbtunnel. Und so steigen mit dem Verkehrsaufkommen auch Anspannungs- und Risikolevel nach und nach wieder in Richtung Normalmaß.

Bremsweg-Vergleich Caravan
Tyspon Jopson
Beim Motorrad helfen Assistenzsysteme, instabile Fahrzustände wie hier zu vermeiden. Das allerdings kann auf Kosten des Bremsweges gehen.

Von den dramatischen Unfall- und Verkehrstotenzahlen der Siebziger sind wir heute trotz ungleich höheren Verkehrsaufkommens meilenweit entfernt; Promillegrenze, Tempolimit und Helmpflicht, vor allem aber auch die immer stärker Einzug haltenden Assistenzsysteme haben da ganze Arbeit geleistet. Bei aller Technik aber bleibt ein Faktor, auf den es zuallererst ankommt und der sich – zumindest bis zum heutigen Tag – nun mal nicht programmieren lässt: der Mensch.

Bis sich das autonome Fahren in der Fläche durchsetzt, wird es weiterhin auf jeden Einzelnen von uns ankommen. Wir Menschen aber sind wankelmütige Wesen und machen Fehler. Ausgeruht, ausgeglichen und ohne Zeitdruck bewegen wir uns in aller Regel sicher und rücksichtsvoll über die Straßen. Gestresst, müde und genervt aber können wir leicht zum Risikofaktor werden.

Dabei wirkt sich unser Zustand nicht nur auf unseren Umgang mit anderen VerkehrsteilnehmerInnen aus. Auch ganz praktische Auswirkungen kann er beispielsweise auf unsere Reaktionszeiten haben – und damit in Notfallsituationen auch einen wesentlichen Einfluss auf den Bremsweg.

Je direkter die Informationsverarbeitung zwischen Augen und Bremsfuß, desto schneller kann die Technik ihren Job machen. Und den macht sie inzwischen verdammt gut. Zwischen den unterschiedlichen Fahrzeuggattungen allerdings gibt es konzeptionelle Unterschiede. Diese und ihre Auswirkungen auf die Bremsperformance zu kennen, fördert die Einsicht in die Verhaltensweisen anderer VerkehrsteilnehmerInnen und kann dabei helfen, unsere Straßen sicherer zu machen.

Bremswege im Vergleich: Motorrad, LKW, Auto, Wohnmobil & Caravan-Gespann

Bremsweg-Vergleich Caravan
Hans-Dieter Seufert / CARAVANING
Messungen mit unterschiedlichen Fahrzeugen lieferten Vergleichswerte zum Gespann.

Vom Motorrad bis zum Lkw spannt sich in Sachen Bremsweg eine ordentliche Bandbreite auf. Im Rahmen der Sicherheitskampagne, welche die Motor Presse mit ihren Partnern aus Industrie und Versicherungswirtschaft ins Leben gerufen hat, traf sich die Redaktion mit Vertretern sämtlicher Schwestermagazine samt den entsprechenden Fahrzeugen auf dem Bosch-Testgelände im fränkischen Boxberg, um diese Bandbreite durch Fahrversuche zu unterstreichen.

Lastauto Omnibus trat mit einem Atego-7,5-Tonner von Mercedes an, auto, motor und sport war unter anderem mit einem BMW 320e Touring, MOTORRAD mit einer BMW S 1000 RR und promobil mit einem Sprinter-Kastenwagen sowie dem Hymer-Wohnmobil B-MC T 680 vertreten. CARAVANING schickte standesgemäß ein Gespann aus einem Subaru Outback und einem Dethleffs Camper auf die Teststrecke. Die Testfahrzeuge wurden mit dem nötigen Messequipment bestückt und sowohl aus 80 wie auch aus 100 km/h jeweils fünfmal bis zum Stillstand heruntergebremst.

Erwartungsgemäß nicht zu toppen war der Bremsweg des BMW Touring. Mit 34,4 Meter von 100 auf 0 km/h lag er vier Meter vorm Zweitplatzierten, dem Mercedes Sprinter, der unbeladen nach 38,4 Metern zum Stillstand kam. Auf Platz drei folgte mit der BMW S 1000 RR das Motorrad mit 39,5 Metern im sportlichsten ABS-Modus, der bei geübtem Fahrer die kürzesten Bremswege erlaubt.

Mit Unterstützung der Assistenzsysteme, die den ungewollten Überschlag des Krads verhindern, verschlechterte sich der Bremsweg auf 41,2 Meter und lag nur noch knapp einen Meter vor unserem Wohnwagengespann, das nach 43,4 Metern zum Stillstand kam – ein Fest für die versammelten FotografInnen, denn ohne ABS an der Wohnwagenachse hüllte das verdampfende Reifengummi die Szenerie in eine äußerst fotogene Nebelwand.

Bremsweg-Vergleich Caravan
Ingolf Pompe
Da Wohnwagen nicht über ein Antiblockiersystem verfügen, blockieren die Reifen bei der Vollbremsung, bis das Gummi qualmt.

Schlusslicht unserer Messungen vor Ort war mit 46,2 Metern das Wohnmobil, das mit Sandsäcken aufs maximal zulässige Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen gebracht worden war. Aus technischen Gründen nicht gemessen werden konnte der Atego-Lkw, in seiner Klasse aber sind Bremsverzögerungen um 7 m/s2 Standard. Aus der legalen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h entspricht das rund 32 Metern, umgerechnet auf eine Ausgangsgeschwindigkeit von 100 km/h wären es rund 18 Meter mehr.

Bremswege und Verzögerung im Vergleich

Fahrzeugtyp

Modell

Bremsweg 80-0 km/h (1)

Bremsweg 100-0 km/h (1)

Bremsverzögerung

Reisemobil

Hymer B-Klasse MC T 680

29,6 m (2)

46,2 m (2)

8,4 m/s²

Kastenwagen

Mercedes Sprinter

26,5 m (2)

41,4 m (2)

9,3 m/s²

Lkw

Mercedes Atego 823

ca. 35 m (3)

-

ca. 7 m/s²

Gespann

Subaru Outback + Dethleffs Camper

27,8 m

43,4 m

8,9 m/s²

Pkw

BWM 320e Touring

22,0 m

34,4 m

11,2 m/s²

Motorrad

BMW S 1000 RR (Sport-/Straßenmodus)

25,3/26,4 m

39,5/41,2 m

9,8/9,4 m/s²

(1) Durchschnitt aus 5 Messungen, unbeladen; (2) beladen auf 3,5 t Gesamtgewicht; (3) Lkw konnte aus technischen Gründen nicht gemessen werden, angegeben sind typische Werte; Testgewicht

Bremsenwartung als absolutes Muss

Vorteilhaft für den Bremsweg ist ein möglichst tiefer Schwerpunkt in Verbindung mit einem langen Radstand. Mehr Masse auf den Achsen erhöht den Bremsweg zwar, das Plus fällt aber nicht so dramatisch aus, wie man annehmen könnte. Der Grund: Mit zunehmendem Anpressdruck aufs Reifengummi und steigender Auflagefläche der Reifen wächst auch die Verzahnung mit dem Asphalt. So kann mehr Bremskraft übertragen werden. Reißt der Grip schließlich ab, holt das ABS die Pneus von der Gleit- in die Haftreibung zurück.

Ein voll beladener 40-Tonner allerdings braucht aus 80 km/h immerhin noch rund 36 Meter und damit zirka 30 Prozent mehr als unser Wohnwagengespann. Unterm Strich also liegen wir mit den Bremswegen unserer Gespanne gar nicht so schlecht im Rennen.

Bremsweg-Vergleich Caravan
Ingolf Pompe
Bei Bremsungen derart hergenommene Pneus weisen hinterher starke Bremsplatten auf und müssen erneuert werden.

Um aber immer möglichst nahe am möglichen Bremsoptimum zu operieren, sollte man nicht nur zwingend die zulässigen Gewichte bei Gesamtmasse, Stütz- und Zuglast einhalten, sondern auch den in den allermeisten Fällen nach wie vor verwendeten Trommelbremsen unserer Caravans in regelmäßigen Abständen etwas Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen. Bei fortschreitendem Verschleiß nämlich wächst das sogenannte Lüftspiel, der Abstand zwischen Bremsbacken und Trommel. Von Zeit zu Zeit muss er durch Nachstellen von Hand wieder aufs Minimum einjustiert werden.

Bei selbst nachstellenden Trommelbremsen braucht es für den automatischen Nachstellvorgang einen gewissen Bremsdruck, um den Nachstellmechanismus auszulösen. Dieser Druck aber wird aufgrund von vorausschauender Fahrweise oft nicht erreicht. Hier hilft nur, ab und an auch mal ganz bewusst stärker in die Eisen zu gehen. Außerdem ist auch eine selbst nachstellende Bremse nicht wartungsfrei. Zur ordnungsgemäßen Funktion müssen auch hier Wartungsintervalle berücksichtigt und alle beweglichen Komponenten geschmiert und gängig gehalten werden.

Unsere Bremsversuche zeigten aber auch: Selbst bei brachialen Bremsvorgängen wahrt ein Gespann bei Geradeausfahrt die Stabilität und hält die Spur. Richtige Beladung des Wohnwagens kann diese Stabilität weiter unterstützen. So sollte man alle Gegenstände generell gegen Verrutschen sichern und schwere Lasten möglichst tief und nahe der Achse lagern. Die Stützlast sollte dabei immer den maximal möglichen Wert erreichen.

Derart gerüstet und mit der nötigen Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer kann auch bei in Ferienzeiten typisch hohem Verkehrsaufkommen kaum was schiefgehen.

Fazit

Die Bremsversuche im Rahmen der Sicherheitskampagne der Motor Presse zeigen, wie unterschiedlich die Bremswege in den verschiedenen Fahrzeuggattungen ausfallen. Außer einer guten Reaktion der FahrerInnen ist auch eine regelmäßige Wartung der Bremsanlage und die richtige Beladung des Fahrzeugs ausschlaggebend.

Die aktuelle Ausgabe
Caravaning 09 / 2023

Erscheinungsdatum 15.08.2023

116 Seiten