Wo bitte liegt der Lago di Corlo? Großräumig gesehen ist der pittoreske Stausee etwa auf halber Strecke zwischen Cortina d’Ampezzo und Venedig, nahe der Heimat des Prosecco, dem mittelalterlichen Städtchen Feltre und dem Nationalpark der Belluneser Dolomiten angesiedelt. Statt des berühmten Schaumweins füllt ihn jedoch kristallklares Wasser, in dem man baden und paddeln kann. Sommers wird er bis zu 24 Grad warm. An seinem Ufer betreiben die Schwestern Doris (die außerdem ein Eiscafé im nordrhein-westfälischen Straelen führt) und Daniela Turra einen Campingplatz. Sie haben ihn von ihrem Vater, einem Maurer, übernommen, der ihn drei Jahrzehnte zuvor mit eigener Hand errichtet hat. Der letzte Kilometer Zufahrt ist auf schmalen, schlechten und kurvigen Sträßchen zu meistern.
Camping Gajole trägt nur einen Stern, das ist nach italienischer Klassifikation unterste Schublade. Die rund 70 Dauercamper haben ihre Wohnwagen mit Carportartigen Schutzdächern und Vorbauten zu ästhetisch fragwürdigen Bretterbuden aufgerüstet, die Bar ist eine Baracke mit deutlichen Gebrauchsspuren aus 30 Jahren. Und doch bietet Camping Gajole (von italienisch „gaio“, fröhlich) ein Campingerlebnis besonderer Qualität. Die Ruhe, die umgebende Natur, der herrliche See mit dem sauberen Wasser und die gute Luft machen Camping hier zu einem anderswo meist verloren gegangenen authentischen Naturleben, das Stress vergessen lässt und Harmonie bringt.
Die Abwesenheit von Luxus bedeutet nicht, dass es hier schäbig zugeht. Denn die Touristik-Abteilung mit 50 Terrassenplätzen plus Zeltwiese ist einschließlich eines properen Sanitärgebäudes nagelneu und vom Dauercamper-Bereich räumlich getrennt. Das Waschhaus ist sauber, es gibt ein Babybad und sogar ein Mietbad. Warum man allerdings bei einem neuen Sanitärgebäude auf Trennwände in den großen Duschkabinen verzichtet und deshalb alle Klamotten – die sich einen einzigen Haken mit dem Handtuch teilen dürfen – pitschnass werden, bleibt ein Rätsel. Im Camping-Hochpreisland Italien ist die Preisgestaltung von Camping Gajole indes sehr willkommen. Hier kann eine vierköpfige Familie mit einem Kind unter und einem Kind über acht Jahren in der Hauptsaison für 24,50 Euro übernachten – 27 Prozent unter dem italienischen Durchschnitt. Ein Animationsprogramm fehlt. Damit entfällt von ganz allein eine Gästegruppe, die nach täglichem Angebot gegen Langeweile sucht. Bei diesem Trend unterstützt Claudio de Lorenzo die Turra-Schwestern, indem er bei seinen Angeboten wie der kostenlosen Stadtführung immensen Wert auf kulturhistorische Erbauung der Gäste legt.
So enthält sein Überblick über die Grappa-Destillation selbstverständlich technische, aber auch anthropologische Erklärungen. Die Abendkurse sind in der gesamten Campingwelt einmalig. So einmalig wie Claudio de Lorenzo selbst. Der zierliche 63-Jährige, der einst in Wien und München Landwirtschaft, Musik, Geigenbau, Brauwissenschaft und Sportpädagogik studierte, durchschwamm auf 16 Kilometern die Straße von Messina und veranstaltete das erste Sechs-Tage-Schwimmen. Die Gastfreundschaft von Doris und Daniela Turra und die Lebenserfahrung de Lorenzos zu erleben macht jede Schnickschnackausstattung eines Campingplatzes überflüssig.