Dethleffs, die Erwin Hymer Group und der gemeinsame Entwicklungspartner ZF haben es geschafft: Der elektrisch angetriebene Caravan E-Home Coco folgte einem Audi E-Tron von Isny bis zum Gardasee. Und zwar ohne Ladestopp.
Dethleffs, die Erwin Hymer Group und der gemeinsame Entwicklungspartner ZF haben es geschafft: Der elektrisch angetriebene Caravan E-Home Coco folgte einem Audi E-Tron von Isny bis zum Gardasee. Und zwar ohne Ladestopp.
Der Aufbruch zu großen Fahrten findet oft im Geheimen statt. 1888 warf Bertha Benz den Patent-Motorwagen ihres Carl ohne dessen Wissen an, um die Langstreckentauglichkeit des angstvoll-skeptisch beäugten ersten Automobils zu beweisen. 180 Kilometer inklusive kerniger Anstiege und Abschüsse legte Bertha in Begleitung ihrer Söhne Eugen und Richard von Mannheim nach Pforzheim zurück; in der Stadt-Apotheke zu Wiesloch besorgte die erste Autofahrerin der Welt den raren Treibstoff Ligroin und erschuf quasi im Vorbeipötteln die erste Tankstelle der Welt.
Auch dass sich am Morgen des 22. Juni 2021 der weltweit erste Elektro-Caravan über den Brenner nach Riva del Garda aufmacht, wissen nur Eingeweihte. CARAVANING ist exklusiv dabei, darf den Audi E-Tron Sportback, der den elektrisch angetriebenen Dethleffs Coco mehr führt als zieht, vom Start bis zum 389 Kilometer entfernten Ziel begleiten.
Dass die Mission von Dethleffs, der Erwin Hymer Group (EHG) und Technologiepartner ZF jener der Bertha Benz so ähnelt, liegt an einer frappierenden Parallele. 133 Jahre später muss die Elektromobilität mit derselben Beharrlichkeit gegen die Ressentiments der Benzin-Fraktion ankämpfen wie seinerzeit der Motorwagen gegen jene der Pferdegetreuen.
Lediglich die Sache mit dem Tanken ist von vorneherein anders angelegt: Das E-Gespann darf auf der fast 400 Kilometer langen Strecke, auf der 4.870 Höhenmeter überwunden werden, natürlich gerade nicht nachladen. Nur eine Nonstop-Urlaubsfahrt mit Caravan ist ein Ritterschlag für den Elektro-Fernverkehr und in der Lage, SkeptikerInnen ein wenig Wind aus den Segeln zu nehmen.
Womit wir direkt beim Grund für die Geheimniskrämerei sind: War Bertha Benz’ einzige Furcht das Fahrverbot vom Gatten, wollen Dethleffs, EHG und ZF Konkurrenz und Zweiflern kein gefundenes Fressen servieren. Kein Geheimnis ist nämlich, dass auch andere Caravan- und Chassishersteller an elektrifizierten Anhängerfahrwerken arbeiten.
Wie riesig die Anspannung war, offenbart sich, als genau um 15:00 Uhr die ZF-Ingenieure Emanuel Pfiffner (am Steuer) und Gianantonio Bortolin (zwischen Messapparaturen auf der Rückbank) mit E-Tron und E-Home auf das Firmengelände der Marineabteilung von ZF in Arco rollen; von hier bis Riva del Garda sind es nur noch fünf Kilometer.
Jetzt kann eigentlich nur noch ein Defekt den Rekordversuch gefährden. Sonst eher nüchterne Ingenieure ballen die Fäuste, klopfen sich auf die Schulter: Dr. Rüdiger Freimann, Chef der Entwicklungsabteilung der EHG, tänzelt, ZF-Projektleiter Udo Gillich freut sich ebenfalls sehr, versteckt es aber hinter seiner Kamera. Und Dethleffs-Mann Richard Angerer, der den Stein und den E-Home Coco überhaupt ins Rollen gebracht hat, strahlt übers ganze Gesicht.
Doch selbst wenn hier am Rande einer heißen italienischen Landstraße Schluss gewesen wäre, hätte Dethleffs einen riesigen Schritt in Richtung Mobilität der Zukunft getan. Kernstück, Meisterwerk und Zukunftsgarant der Antriebseinheit ist das Zugentlastungsmodul in der Anhängevorrichtung. Der darin integrierte Zugkraftsensor registriert, ob das Zugfahrzeug beschleunigt, verzögert oder gleichmäßig rollt und reicht diese Informationen an die Motoren weiter. Binnen einer Zehntelsekunde stellen die bis knapp über 100 km/h exakt so viel Schub bereit, dass eine bestimmte Anhängelast nicht überschritten wird.
Nicht einmal, wenn man die 408 Pferde des E-Tron aus dem Stand aufscheucht, würden die Insassen weder eine verzögert einsetzende Beschleunigung noch ein Rucken bemerken, verspricht Rüdiger Freimann. Denn erstens ist der Sensor schneller als die menschliche Reaktionszeit, zweitens können die E-Motoren kurzzeitig je 90 kW (122 PS) freisetzen.
Auch die stromgewinnende Verzögerung durch Rekuperation wird elektronisch geregelt. Nur für Notbremsungen und natürlich als gesetzlich vorgeschriebene mechanische Rückfallebene verfügt der Prototyp über hydraulische Scheibenbremsen, die einen feinfühligeren Übergang zwischen elektrischer und mechanischer Verzögerung gewährleisten sollen als Trommelbremsen.
Da jeder E-Motor ein Rad antreibt und verzögert, kann der Prototyp per App rangiert werden. Auch die Fahrstabilisierung im Falle von Anhängerpendeln soll durch radselektive Verzögerung so feinfühlig sein, dass dadurch das nächste große Ziel in Reichweite rückt: Die erste Homologation eines schnelllaufenden Anhängers mit Antrieb, der, so das Ansinnen, auch von Autos mit kleiner Anhängelast gezogen werden darf.
Auch wenn es bis zur Serienreife noch drei, vier Jahre dauert und bei der Technik zugunsten von Kosten und Gewicht noch abgespeckt wird, trifft es die SMS vom daheimgebliebenen Dethleffs-Chef Alexander Leopold auf den Kopf: "Gratulation an alle!!! Weltrekord. Der Wahnsinn, und das zum 90-jährigen Dethleffs Jubiläum! Ein Meilenstein in der Caravaning-Geschichte. Und ihr wart nicht nur dabei, sondern habt es möglich gemacht. Wir sind stolz auf Euch." Dem ist nichts hinzuzufügen.
Der Prototyp verfügt über zwei Asynchron-Motoren in einem gemeinsamen Gehäuse. Jeder Motor treibt per Welle ein Rad an bzw. bremst es. Das hat sowohl bei der Umsetzung des elektronischen Stabilisierungssystems als auch des Rangiersystems Vorteile: Durch radselektives Abbremsen kann Schlingern sehr schnell und effizient abgestellt werden. Und durch den Antrieb in entgegengesetzte Richtungen dreht der Wagen beim Rangieren auf der Stelle.
Im Serienwagen wird aus Gewichts- und Kostengründen eher ein Einzelmotor mit Differenzial kommen. Rangier- und Stabilisierungssystem wirken dann über die Bremsen. Im Mover-Modus könnte sich der Coco dann aber nur noch um das stehende Rad herum drehen und nicht auf der Stelle.
Der Gegenwind der PionierInnen – Jeder, der sich zu neuen Ufer aufmacht, musste schon immer mit Gegenwind und Stromschnellen rechnen. Doch ohne Frauen, Männer und Unternehmen, die sich dem Risiko zu scheitern stellen, gäbe es keinen Fortschritt. Dethleffs, die EHG und ZF könnten große Summen verlieren, wenn das Projekt E-Caravan floppt. Aber: Mobilität verändert sich.
Auch wenn heute noch niemand nach einem angetriebenen Anhänger schreit, weil sich ihr oder ihm der Sinn nicht erschließt: Lösungen zur CO2-Reduzierung werden gebraucht werden. Und dann ist Dethleffs da. Dafür verdient das Unternehmen großen Respekt – egal wie man zur E-Mobilität steht.