Keine Zeit für Romantik: Vor der Motorhaube des Mercedes GL 450 verliert sich der steile Bergpfad in einer dicken Schneewehe. Draußen geht für dreieinhalb Stunden die Sonne auf. Mercedes’ neues Offroad-Flaggschiff steckt fest. Der Mann am Lenkrad bleibt cooler als der Polarwind. Dr. Andreas Faulhaber, Leiter der Abteilung Fahrdynamik- und Assistenzsysteme, weiß, was der Neue kann. Augenblicke später wirbeln die 330 PS des 4,6-Liter-V8 (GL 450) Schnee auf, der 2,4-Tonner wühlt sich geradezu entfesselt dem Gipfel des Galtispouda entgegen.
Per Knopfdruck hat Ingenieur Faulhaber dem GL 450 größere Freiheiten eingeräumt: mehr Bodenfreiheit dank serienmäßiger Luftfederung und mehr Aktionsfreiheit dank Offroad-Modus, in dem das Allradsystem 4ETS mehr Motorleistung zu den Rädern schickt und das in schwierigem Gelände hilfreiche, kontrollierte Durchdrehen der Räder zulässt.
Für den deutschen Markt, auf dem die GL-Klasse im September debütiert, packt Mercedes das Offroad-Paket in die Serienausstattung. Außer der Geländeuntersetzung beinhaltet es elektronisch gesteuerte Lamellensperren für das Längs- und das Hinterachsdifferenzial, die automatisch oder auf Fahrerbefehl 100 Prozent schließen. Knopfdruck statt Schaufelstil. Sehr nett bei dieser Kälte.
Auch bergab greift der GL seinem Lenker unter die Arme. Im Offroad-Modus und/oder bei eingelegter Geländeuntersetzung erlaubt das Offroad-ABS den Vorderrädern längere Rutschphasen (Schlupfeinläufe), damit sich auf losem Untergrund wie Tiefschnee, Kies oder Schotter bremsende Keile unter ihnen aufhäufen. Hinten regelt die Elektronik zu Gunsten der Spurstabilität so feinfühlig wie im Standardbetrieb, in den das ABS bei Geschwindigkeiten über 20 km/h automatisch zurückkehrt.
Kniffligen Auf- und Abfahrten wie am Berg Galtispouda nimmt Mercedes mit HSA (Hill Start Assist) und DSR (Downhill Speed Regulation) den Schrecken. Hinter HSA steckt eine Berganfahrhilfe, die den im Bremsassistenten (BAS) gespeicherten Druck bis zu einer Sekunde lang aufrecht erhält. Zeit genug für den Tritt aufs Gaspedal. Für besonders weiches Anfahren wird das Bremsmoment dann analog zum Anfahrmoment reduziert. Zerrt den GL ein schwerer Anhänger oder auch nur sein stattliches Eigengewicht talwärts, justiert der Bremsassistent den Bremsdruck feinfühlig nach und hindert ihn so am Zurückrollen.Das Bremspedal gänzlich ignorieren dürfen Caravaner bei eingeschaltetem DSR.

Über den Tempomat kann der Fahrer eine Geschwindigkeit zwischen vier und 18 km/h vorwählen und auch weiter reduzieren. So tastet sich der GL sogar mit Anhänger am konventionell abnehmbaren Haken bergab. Für maximale Kontrolle unterscheiden die Bremsen auch hier zwischen Asphalt- und Geländemodus. Bis 20 km/h hält der Geländewagen aber ganz ohne DSR und trotz schwierigem Terrain seine Kriechgeschwindigkeit: Die Motor-Bremsmoment- Unterstützung (MBU) setzt durch gezieltes Abbremsen nicht rutschende Räder selbst dann noch Motorbremsmoment ab, wenn mehr als ein Rad die Bodenhaftung verliert.
Auf vereister Piste rauscht der GL 450 Richtung Arvidsjaur. Als wären die Realbedingungen nicht schwierig genug, muss er sich nun auf der Continental-Teves-Teststrecke beweisen. Merklich beschleunigt der Versuchswagen eine zwanzigprozentige Steigung hinauf – mit den linken Rädern auf poliertem Eis und den rechten auf Asphalt. Der Monitor zeichnet auf, wie schnell und sensibel 4ETS die Räder am Durchdrehen hindert. Dass diese Übung sogar mit Heckantrieb funktioniert, beweist die als Begleitfahrzeug abgestellte S-Klasse. Nicht minder kritisch: Die Vollbremsung auf µ-split, wieder mit den Rädern einer Seite auf blankem Eis. Erneut sorgt die lückenlose Verknüpfung aller Systeme für Fahrsicherheit.
Führt ein erfahrener Steuermann das Ruder und lenkt intuitiv gegen die unvermeidbare Fahrzeugdrehung, teilt das ESP über die Giermomentenbeeinflussung (GMB) und die Elektronische Bremskraftverteilung (EBV) dem auf Asphalt rollenden Hinterrad immer mehr Druck zu, was zu kürzeren Bremswegen führt. Diese Übung soll der GL auch mit Anhänger problemlos absolvieren. Natürlich gibt Mercedes-Benz der GL-Klasse die ESP-Zusatzfunktion TSA (Trailer Stability Assist) aus der M- und S-Klasse mit auf den Weg.
Beginnt der Anhänger zu pendeln, bremst der GL wechselweise die Vorderräder, um das Gespann auf Kurs zu halten, ohne die Geschwindigkeit gefährlich zu reduzieren. Einen Vergleichstest des TSA mit ESP+ von VW finden Sie in CARAVANING 9/05. Vier Motoren sollen im GL für standesgemäßen Vortrieb sorgen. Ein Großteil der deutschen Kunden wird sich wohl für den 165 kW (224 PS) starken GL 320 CDI entscheiden. Noch glücklicher könnten Drehmomentfans mit dem GL 420 CDI werden, der 225 kW (306 PS) und 700 Newtonmeter bereitstellt. Eng miteinander verwandt und ebenfalls nicht zimperlich sind die beiden V8-Benziner GL 450 und 500, die aus 4,6 und 5,5 Litern Hubraum 250 kW (340 PS) und 285 kW (388 PS) generieren. Anders als die M-Klasse, auf der er basiert, gibt es den GL auch als Siebensitzer mit elektrisch versenkbaren hinteren Sitzen.
Test am Polarkreis
CARAVANING begleitet einen Test am Polarkreis: Vor der Motorhaube des Mercedes GL 450 verliert sich der steile Bergpfad in einer Schneewehe. Draußen geht für dreieinhalb Stunden die Sonne auf.
Beherrschbar: Spiegelblankes Eis auf der einen, trockener Asphalt auf der anderen Seite...
... trotzdem fährt der 2,4 Tonnen schwere GL 450 bei 20 Prozent Steigung locker an und bleibt beim Bremsen sauber in der Spur.
Schneegestöber: Mit erhöhter Bodenfreihheit und aktiviertem Offroad-Fahrprogramm kämpft sich die GL-Klasse durch den Tiefschnee.
Zugnummer: Die meisten GL werden mit Haken bestellt, der 150 Kilo Stützlast verträgt.
Schaufenster: Das Zentraldisplay gibt Auskunft über die eingestellten Fahrprogramme.
Kontrollstation: Auf der breiten Mittelkonsole sammeln sich kleine Knöpfe mit großer Wirkung.