Stolz wird Opa Schultes, der abenteuerlustige Friseurmeister aus dem schwäbischen Münsingen, anno 1956 auf seinen Piccolo gewesen sein – der Kaufpreis von 1144 Mark war es nicht minder. Doch was tut man nicht alles für die geliebte Gattin, die ihren Robert mit der Weigerung, weiterhin im Zelt zu schlafen, zum Handeln zwang. "Der Mini-Wohnwagen schien die perfekte Lösung zu sein. Immerhin waren meine Großeltern gerne und oft unterwegs", erinnert sich Enkel Kilian, der jetzige Besitzer. "Die erste Fahrt mit dem Piccolo, natürlich hinter einem Käfer, ging an den Bodensee. Bald darauf wurden die Alpen anvisiert." Wann der Amphibien-Wohnwagen zum ersten Mal zu Wasser gelassen wurde, ist mir nicht bekannt. "Aber”, merkt Kilian an, "ich weiß, dass er anfangs mindestens zwei Mal im Wasser war."
Die Schwimmfähigkeit war und ist der Clou des kleinen Fernwehmobils, das sich vom normalen Piccolo konstruktiv deutlich unterscheidet. "Die untere Hälfte hat dank doppelwandiger Stahlkonstruktion und voluminöser Radhäuser genügend Auftrieb – auch wenn ich nicht sicher bin, ob ich die versprochene Traglast von 500 Kilo wirklich ausprobieren möchte.” Auch das Seetüchtigmachen ist keine einfache Übung, weil das schwere Dach runter muss. "Außerdem verlangen nach jeder Bootstour die Achsen neues Fett. Anschließend muss der Deckel wieder exakt aufgesetzt werden. Das tut man sich nicht ohne Not an.”
Doch auch ohne lustige Seefahrten erlebte der Wagen allerhand: Vom Käfer und weiteren Familienautos gezogen, rollten die kleinen 8-Zoll-Räder kreuz und krumm durch die Republik. "Offensichtlich ging das auch mit den 30 oder 50 PS der damaligen Autos genussvoll", versichert Kilian, der selbst ein Faible für Oldies hat. Auch wenn außer dem Piccolo kein anderer Oldtimer in der Garage des Heidelberger Historikers parkt. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Bis in die 80er Jahre blieb die Bade-Wanne beim Großvater, später stand sie in der Scheune, eine Weile sogar im Freien. "Als Kinder spielten wir gerne mit und im Piccolo", erinnert sich Kilian Schultes. "Das war mal unser U-Boot, mal unser Raumschiff – irgendwas fiel uns immer ein", blickt der 1973 geborene Schwabe wehmütig auf jene Zeit zurück, in der man noch ganz real Unfug trieb und nicht virtuell.
Der Piccolo war eigentlich schon im Ruhestand
In der Zwischenzeit musste der Piccolo sogar als Transporter für Steine und Zement herhalten. Papa Schultes war unter die Häuslebauer gegangen – und freute sich über den soliden und regendichten Anhänger, der später abgemeldet auf dem Gartengrundstück seine scheinbar letzte Ruhe zu finden schien. "Das perfekte Hauptquartier für unsere Dorfbande", lacht Kilian.
Irgendwann jedoch erahnte er das historische Potenzial, was Anfang der 90er in eine Totalzerlegung mündete. "Meine Kumpels und meine damalige Freundin halfen tapfer, und so hatten wir das Ei bald wieder in Schuss." Der verzinkte Unterbau war im Gegensatz zu den innen gerippten Radhäuser, dem Oberbau und den mürben Kedern kein Problem. Letztlich aber bestand der Piccolo die Vollabnahme, und vom Herrn Papa gab es als Geschenk das Nummernschild.
Ein Peugeot 205 Diesel zog den neu lackierten Piccolo für drei, im Jahr darauf dann für sieben Wochen nach und durch Schottland. Dabei zeigte sich auch der unglaubliche Sympathiefaktor des Piccolo. "Bei der Überfahrt auf die Hebriden trugen die Seeleute unser Ei mal eben von Hand auf die Fähre – die hatten Spaß!" Man mag sich die wilde Aktion der massigen Seebären lebhaft vorstellen. "In so einem Wohnwagen werden Helden gezeugt", feixten sie dem verdutzten Besitzer noch hinterher. Möglich wäre es jedenfalls: Denn dank der drei Stützen wackelt der Piccolo nicht.
Fürs Aufbocken will der Wagen indes von Hand angehoben werden. Und auch bei Regen macht der Urlaub wenig Spaß, gilt es doch zum Ein- und Aussteigen, den Deckel mit dem Kopf nach oben zu drücken. Wenn die "Tür" dann arretiert ist, tropft es beidseitig ins Innere, weshalb stets ein Zelt mit dabei sein sollte. "Vom Kondenswasser will ich gar nicht erst reden", runzelt Kilian Schultes die Stirn. Ohne Frage: Die fast 60 Jahre alte Konstruktion hat so ihre Tücken. Vielleicht ging die Amphibie auch deshalb nie in die Großserie. Nur zwei Exemplare sind überhaupt
bekannt!
Reiselust dank Piccolo-Wohnwagen
Kilian Schultes schlägt in Sachen Reiselust nach dem Großvater, wobei es ihn mittlerweile vor allem nach Frankreich zieht. "Gerade auf kleinen Straßen hat der Piccolo echte Vorteile – allerdings sollte man keine Weinflaschen im geräumigen Unterboden transportieren. Denn der Wagen hoppelt derart, dass nur Scherben übrig bleiben."
Mittlerweile ist der seltene Schwimm-Piccolo in Altersteilzeit. "Unser neuer Caravan ist natürlich bequemer, vor allem zu zweit. Aber auch spießiger als der Piccolo", grinst er. Auch die Kommentare anderer Camper fehlen ihm zuweilen. "Die erste Frage war immer, ob man tatsächlich zu zweit darin schlafen könne – das habe ich natürlich bejaht. Im Vorgriff auf dem meist folgenden Witz mit dem Bad habe ich stets geantwortet, dass wir nur die Badewanne zu Hause gelassen haben − aus Gewichtsgründen".
Verkaufen möchte Kilian Schultes das "Ei", das gerade frisch getüvt wurde, aber auf gar keinen Fall, auch wenn es nicht mehr so oft zum Einsatz kommt wie einst zu Studentenzeiten. "Vorstellen könnte ich mir allenfalls, den Kleinen als Leihgabe in ein gutes Museum zu stellen. Aber hergeben – das geht natürlich gar nicht! Er gehört doch zur Familie!" Das alles konnte Opa Schultes natürlich nicht ahnen – aber freuen würde er sich ganz sicherlich darüber.
Piccolo: Der Wirtschaftswunder-Wohnwagen
Die Firma Elektro-Stahlbau hat den 2,3 Meter langen und 1,5 Meter breiten Piccolo von 1954 bis 1957 in München-Putzbrunn gebaut und ihn als Schlaf- und Gepäckanhänger konzipiert, der von Fahrzeugen wie Isetta, Käfer oder sogar Motorrollern gezogen werden konnte.
Verschiedene Aufbauten aus Blech oder Zeltplane erlaubten vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Einen Einblick in den Originalprospekt von 1956 gewährt die private Internet-Seite des Besitzers Kilian Schultes, www.schultes.cc
Der je nach Variante 90 Kilo leichte Mini wurde nach Frankreich, Österreich, in die Niederlande und wohl auch in die Schweiz exportiert, wobei die stetige Weiterentwicklung für Unterschiede an den schätzungsweise 20 noch erhaltenen Exemplaren sorgte. Insgesamt dürften nur wenige hundert Piccolo, aber nur zwei "Amphibien" gebaut worden sein. Die Idee, einen Wohnwagen als Boot zu nutzen, wurde immer wieder aufgegriffen. Doch zeigen sich auch beim Piccolo die Probleme, die sich in der Praxis automatisch ergeben. Das hier gezeigte Exemplar wurde nach der Restauration vor 20 Jahren nur ein einziges Mal zu Wasser gelassen. Leider existieren davon keine Aufnahmen.
Die Ära des Kleinstwohnwagens endete mit der der Kleinstautos. Das Wirtschaftswunder ermöglichte immer häufiger den Umstieg in die automobile Mittelklasse. Und damit kamen auch größere, komfortablere Caravans mehr in Mode.