Design heißt in erster Linie zuhören. Sagt Michael Studer und verdutzt mit diesem Lehrsatz nicht nur seine hoch motivierten Erstsemester an der Fachhochschule Weingarten, sondern auch den Autor dieser Zeilen. Studer lässt das Gesagte kurz wirken, um sodann die Erklärung zu liefern: Der Kunde mit all seinen Wünschen und Empfindungen muss im Mittelpunkt aller Überlegungen stehen. Und nicht das Design um seiner selbst willen. Recht hat er!
Besonderes Glück hat ein Designer, wenn er sich selbst lauschen und seine eigenen Träume und Vorstellungen vom idealen Caravan ohne Wenn und Aber verwirklichen kann. Und in Dethleffs einen Partner findet, der diesen Traum mit Menschen, Material und Moneten unterstützt.
Studers Ansprüche an „seinen" Caravan sind durchaus auch für Otto Normalcamper nachvollziehbar, obwohl das Anforderungsprofil exakt zu Charakter, Umfeld und Hobbys des Designers passt. Als geselliger Mensch möchte der Vater zweier Töchter nicht nur Menschen um sich scharen und beherbergen, sondern auch sein Motorrad mitnehmen können. Oder zwei. Und die Kinderräder. Oder ein Faltboot. Oder Möbelkartons. Das alles, ohne auf Wohnqualität und Bewegungsfreiheit verzichten zu müssen. Müßig zu erwähnen, dass die Außenabmessungen (2,30 Meter Breite) reisetauglich bleiben sollten. Noch Fragen? Doch Studer hat das einzig Richtige getan und seinen über Jahre gereiften Traum vom rollenden Tausendsassa auf die Räder gestellt, bevor man ihn für verrückt erklären konnte.
Fast neun Meter lang müsste ein Caravan sein, der zwei Etagenbetten im Bug, zwei Dinetten für jeweils vier und sechs Personen (mit Klapphocker bis zu elf Sitzplätze!), eine fast zwei Meter breite Küche samt „Laufzone“, einen 60 Zentimeter breiten Wäscheschrank, eine 60 mal 100 Zentimeter große Dusche, einen begehbaren Kleiderschrank samt Toilette, zusammen neun Meter Deckenschränke und viel Platz für Gerät und Gepäck böte. Der Vari dagegen ist bei gleicher nutzbarer Grundfläche (18,6 m2) nur 6,4 Meter lang. Aber jetzt mal Butter bei die Fische: Wie funktioniert’s?
Wesentlicher Bestandteil des Konzepts ist die „Vario-Ankleide" mit „Square-Konzept“. Der Kleiderschrank schwenkt in den Duschraum, der somit keinen Extraplatz beansprucht. Das Bad lässt sich ein wenig weiten oder mit der Dusche gegenüber gar zu einer großen Ankleide (Square gleich „Quadrat“) vergrößern. Augenscheinlichster Unterschied zu Dethleffs-Seriencaravans ist die große Heckklappe. Unter dem Wagenboden versteckt sich eine Auffahrrampe, über die selbst ausgewachsene Bikes wie Studers 250 Kilogramm schwere BMW R 1100 GS per Motorkraft bugsiert werden können. Das wiederum würde nicht funktionieren, wenn sich das 2,10 auf 1,50 m große Heckbett nicht bis unter die Decke heben ließe. Im Prototyp erledigt das ein Elektromotor. Bei Serienstart soll der als Option auftauchen. Für den Raum darunter hat der passionierte Camper Studer eine herausnehmbare Sitzgruppe konstruiert, die aus zwei Bänken und einem vierbeinigen Tisch besteht und sich auch zu einer großen Liegefläche verwandeln lässt. Wenn nötig, halten frei positionierbare Stopper das Oberdeck auf Sicherheitsabstand zur Sitzgruppe. Acht versenkbare Zurrösen im Boden kümmern sich um die Ladungssicherung. Noch gemütlicher geht es auf der Gegensitzgruppe in der Mitte des Vari zu. Denn nicht nur die üppigen Sitz- und Rückenkissen sind weich gepolstert, sondern auch die Wände um den Einhängetisch (Kuschelpaket). Behaglichkeit ist somit auch im Winter garantiert. Im Übrigen lässt sich auch die Sitzgruppe im Handumdrehen an die Begebenheiten im Caravan anpassen: Muss viel geladen werden, machen sich Tisch und hintere Sitzbank schmal. Ideal nutzbar wird der vordere Sitzstaukasten durch einen Auszug, der in den breiten Mittelgang rollt. Das „K" in der Grundrissbezeichnung 580 DSGK steht für das Kinderetagenbett, das sich quer im Bug befindet und den ultimativen Maya- und Hannah-Test auf der dreiwöchigen Jungfernfahrt bravourös bestanden hat. Das obere Bett nutzt für seine Breite (siehe Seitenriss oben) die Fensterbank über dem Gaskasten und lässt sich für mehr Spiel- oder Laderaum einfach nach oben schwenken. Als runde Fenster zur Welt fungieren Maya und Hannah drei Bullaugen, die dem Vari gleichzeitig seine mild unkonventionelle Außenwirkung verleihen.
Weiteres Highlight des Vari 1 ist die Küche. Große Unterschränke und drei geräumige Auszüge mit flexiblem Innenleben sowie der von weiteren Staufächern flankierte Kühlturm werden ergänzt durch eine Dreierreihe unterschiedlich tiefer Oberschränke, die zusammen mit den Dachstauschränken des Wohnraums eine regelrechte „Arena" bilden. Die Intension dahinter erschließt sich selbst unbedarften Besuchern auf Anhieb. In allen Bereichen, in denen es auf Bewegungsfreiheit oder fühlbaren Raum ankommt, zieht sich das Mobiliar dezent vom Betrachter zurück. Die vermeintlich kleinen Stauraumvolumina gleichen tiefe Fächer in den „Ecken" wieder aus. Wenn der Vari bis dahin auch keinerlei Anzeichen von Eitelkeit erkennen ließ, das Beleuchtunskonzept mit hunderten von Leuchtdioden könnte man als solche interpretieren. Sie lenken den Blick direkt auf das geschwungene Kirschholzmobiliar, dem silberne Abschlüsse und braune Zierlinie zusätzlichen Pep verleihen sollen. Die Chancen des Vari-Konzeptes, in Serie zu gehen, stehen gut. Dethleffs-Chef Thomas Fritz dazu: „Wenn wir es schaffen, den mit allen Optionen ausgestatteten Vari für unter 30 000 Euro zu bauen, machen wir es." Ebenfalls so gut wie sicher ist, dass Dethleffs den Grundriss auch in einer „Standard-Variante" ohne Hubbett und Heckklappe bringt. Erfinder Michael Studer hat, so scheint es, keinen Zweifel daran, dass sein Werk vollendet und zu den Kunden kommen wird. Wie sonst wäre zu erklären, dass bereits acht weitere Grundrisse nur darauf warten, Gestalt anzunehmen. Auch die Besucher des Caravan-Salons geben ihm Recht: Die Mehrheit der 918 Umfrageteilnehmer findet die innovativen Details des Vari sehr gut oder gut. Mit zwölf Stimmen Spitzenreiter bei der Ablehnung ist die Holzfarbe. Das ist nun wirklich zu verschmerzen.
Technische Daten Hersteller: Dethleffs Modell: Dethleffs Vari 1 Länge: 6400 mm Breite: 2300 mm