Die Internet-Seite der Bild-Zeitung wusste es ganz genau. „Unter Deutschlands Campern geht die Angst um“, erfuhr man in der Reisesaison auf bild.de. Weiter unten hieß es dann: „Die Täter betäuben ihre schlafenden Opfer mit Gas - um sie dann in aller Ruhe auszurauben." In anderen Medien klang das nicht ganz so drastisch, doch der Tenor war ähnlich.
Offenbar hatte die Polizei klare Hinweise auf eine Diebesbande, die nachts auf norddeutschen Autobahnparkplätzen narkotisierende Gase in Freizeitfahrzeuge einleitete. Erfahrene Camper kennen das Thema schon seit Jahren. Und seit die ersten Berichte über sogenannte Gasüberfälle auftauchten, teilen sie sich in zwei Lager: Die einen vertrauen den Berichten, die anderen halten sie schlicht für ein Märchen. Sollte es in diesem Sommer also erstmals Beweise für Übergriffe auf Camper mit Hilfe von Gasen gegeben haben.
Praktisch alle dramatisierenden Medienberichte dieses Sommers beziehen sich auf eine Serie von Einbrüchen in Freizeitfahrzeuge im nördlichen Brandenburg. Bereits am 2. Juli hatte die dortige Polizeidirektion eine Pressemitteilung dazu verfasst, wo es heißt: „In drei Fällen wird geprüft, ob die Täter bei der Ausführung der Taten Betäubungsgas verwendeten." Sechs Wochen lang interessierte sich offenbar kaum jemand dafür. Doch dann nahm die Nachrichtenagentur dpa den Hinweis für ihre Berichterstattung auf. Prompt schrieb im August die Berliner Morgenpost: „Kriminelle betäuben Camper mit Gas und rauben sie aus." Aus dem ersten Verdacht waren hier plötzlich Fakten geworden.
K.o-Gas in den Caravan eingeleitet - was ist dran an der Geschichte?
Am 1. September gelangte die scheinbar so brisante Geschichte schließlich auch ins Fernsehen - sonst eher ein schnelles Medium. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg widmete den Diebstählen einen TV-Beitrag im sonntäglichen Magazin „Täter, Opfer, Polizei“. Dort sprach man von einer „unheimlichen Raubserie" und spekulierte darüber, ob Hexan als sogenanntes K.-o.-Gas in ein Caravan-Fenster eingeleitet wurde. Man hätte es besser wissen können. Schon zwei Monate zuvor wurden die Verdächtigten verhaftet.
Bei der Brandenburger Polizei kann man den ganzen Wirbel um das Thema Gas nicht verstehen. Ulrike Glanz von der Pressestelle der Polizeidirektion Nord stellt klar: „Wir haben keine Indizien, dass bei den Diebstahlsdelikten Betäubungsgas zum Einsatz kam.“
Die Polizei hatte die drei mutmaßlichen Täter auf frischer Tat ertappt, als sie sich am 1. Juli gegen 1.50 Uhr am Autohof Fretzdorf an drei Reisemobilen zu schaffen machten. Ulrike Glanz: „Beim Zugriff der Polizei wurden keine Flaschen oder Schläuche gefunden, die für das Einleiten von Gasen notwendig gewesen wären." Dass in der oben zitierten Pressemitteilung überhaupt von Gas die Rede war, lag allein an den Berichten der Geschädigten. Einige hatten am Folgetag über Unwohlsein geklagt. In einem anderen Fall hatte ein Hund nicht angeschlagen. Ulrike Glanz: „Wir haben das sehr ernst genommen, aber nichts gefunden, was auf Gas hindeutet." Fest steht lediglich, was die meisten Camper schon vorher wussten: Bei einer Übernachtung am Rande der Autobahn darf man sich niemals in Sicherheit wiegen. Ebenso wenig kann man einfach davon ausgehen, dass ein nächtlicher Einbruch die erschöpfte Besatzung aufweckt. Das in Brandenburg tatverdächtige Diebestrio schlug bis zu seiner Verhaftung jedenfalls elfmal in der Nacht zu und erbeutete unter anderem Handys, Laptops und Bargeld.
Einbrüche bei risikoreichen Übernachtungsstätten
Ähnliche Fälle sind in diesem Sommer - wenn auch weniger spektakulär - auch aus anderen Landesteilen bekannt geworden. Ausnahmslos fanden die Einbrüche unmittelbar an Autobahnen statt. Im europäischen Ausland sind solcherart Übergriffe ebenfalls nicht unbekannt. Als besonders riskant gilt beispielsweise die Übernachtung an Raststätten und -plätzen entlang der französischen Rhônetal-Autobahn.
In dieser Reisesaison mehren sich aber ebenso entsprechende Berichte von österreichischen Autobahnen, zuletzt aus Kärnten. Die dortige Ausgabe der Kleinen Zeitung aus Graz schreibt im September von einer „unheimlichen Serie von Überfällen auf Rastplätzen“. Gleichzeitig wundert man sich, dass sich die Täter auch im Schlafbereich bei den Wertsachen bedienen, ohne von den ruhesuchenden Campern bemerkt zu werden. Dennoch verweist die Kleine Zeitung auf eine Aussage der Kärntner Polizei, dass es keine Hinweise auf Narkosegase gebe. Erwiesen scheint nur ein hohes Maß an heißer Luft im medialen Sommerloch.
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