Lange Zeit fehlte es uns noch auf unserer Urlaubssammelliste: das Land der tausend Seen, der Myriaden von Mücken und die Heimat des Weihnachtsmannes – Finnland, das in diesem Jahr 100 Jahre Unabhängigkeit feiert. Dieses Land hatte für uns schon immer einen großen Reiz. Allein, weil wir von den Finnen nicht wirklich viel wussten, machte es neugierig. Wortkarg und scheu sollten sie sein, aber auch stolz darauf, diesem kleinen Volk anzugehören, dessen Sprache so exotisch und fremd klingt.
Schon das Schriftbild ist durch die auffällig vielen Vokale ungewöhnlich. Finnisch gehört zur finno-ugrischen Sprachfamilie und unterscheidet sich grundlegend von jeder indogermanischen Sprache. Am Ende der Reise sollten es auch nicht mehr als drei Worte sein, die wir uns gemerkt hatten: Hei für Hallo, Kiitos für Danke und Kippis für Prost.
Inselhopping auf dem Archipelago Trail
Zum Glück können die zwar recht wortkargen, aber sehr hilfsbereiten Finnen gut Englisch, und so war die Verständigung auf unserer dreiwöchigen Fahrradtour durch die finnischen Schären kein Problem. Der Archipelago Trail, den wir uns für unser Finnland-Abenteuer ausgewählt hatten, ist eine 250 Kilometer lange Ringstraße, die der Stadt Turku vorgelagert ist und die nach ihr benannten Turunmaa-Schären miteinander verbindet.
Früher waren die Eilande, die sich in der Ostsee entlang der Küste tummeln, nur per Boot zu erreichen. Jetzt kann man dank 200 Kilometer gut ausgebauter Radstrecke und weiteren 50 Kilometer Wasserwegen, mithilfe von immerhin neun Fährlinien und zwölf Brücken bequem von Insel zu Insel hoppen.
Startpunkt ist Turku – die ehemalige Hauptstadt

Der Schärengarten an Finnlands Westküste entstand in der Eiszeit und besteht aus über 25.000 Inseln. Mit seinen einsamen Stränden, felsigen Klippen und grünen Birkenwäldern wirkte der weitläufigste Archipel Europas für uns wie ein wahrgewordener Fahrradtraum: lange Sommerabende am Lagerfeuer, zelten direkt am Meer und jede Menge unberührte Natur. Start- und Endpunkt unserer Rundtour ist Turku, Finnlands ehemalige Hauptstadt. Diese lebendige Stadt ist wirklich sehenswert mit ihrem frischen und trendigen Studentencharme, der auf gelebte Tradition und Mittelalterflair trifft.
Besonders die imposante und gut erhaltene Burg lohnt es, sich anzuschauen, deren Grundstein schon 1280, also nur wenige Jahre nach der Stadtgründung, gelegt wurde. Mehrmals täglich laufen in Turku, das auch den schwedischen Namen Åbo trägt, die riesigen Fähren aus Stockholm ein. So wie hier sieht man im gesamten Schärengebiet Ortsschilder mit zwei Namen. Dies kommt aus der Zeit, als Finnland noch zu Schweden gehörte. Bis heute sind die Schären daher zweisprachig.
Da Einkaufsmöglichkeiten auf den äußeren Inseln rar sind, decken wir uns auf dem wunderbaren Markt in Turku mit allerlei Leckereien und heimischen Produkten ein. Vollgepackt mit Proviant für acht hungrige Radler fahren wir die Schärenringstraße gegen den Uhrzeigersinn, immer den braunen Hinweisschildern Saariston Rengastie (finnisch) oder Skärgårdens Ringväg (schwedisch) folgend. In dem beliebten Badeort Naantali legen wir unseren ersten Stopp ein. Die Touristeninformation dort hat gutes Kartenmaterial und viele hilfreiche Informationen über das Schärengebiet. Aber vor allem und ganz wichtig: den aktuellen Fährplan. Die gelben Inselfähren (Lossi) nehmen Radler zwar meist kostenlos mit, verkehren aber zum Teil nur ein- bis zweimal täglich. Um lange Wartezeiten zu vermeiden, muss man einen Blick auf die Fahrzeiten werfen.
Badebuchten in Naantali

Der kleine Jachthafen von Naantali mit seinen vielen urigen Cafés und Restaurants lädt zum Verweilen und Flanieren ein. Nicht umsonst verbringen hier die finnischen Staatspräsidenten traditionell ihren Sommerurlaub. Außerdem gibt es in dem kleinen Parkgelände oberhalb des Jachthafens wunderbar geschützte Badebuchten, die geradezu geschaffen sind, sich das erste Mal in finnische Gewässer zu wagen. Und obwohl die Wassertemperatur nur etwa 16 Grad beträgt, gehört der tägliche Sprung in die Fluten zum Pflichtprogramm – wenigstens für unsere kleinen Urlauber.
Die schroffe und raue Seite der auf den Werbeplakaten der Reisebüros oft so idyllisch gezeigten Schärenwelt bekommen wir zu spüren, kurz nachdem wir Naantali verlassen haben. Ein stetig starker, fast demütigender Gegenwind zerrt kräftig an unseren Nerven und Zeltstangen, als wollte er absichtlich unseren Traum vom Fahrradsommerparadies zerrütten. Ganz so schnell kommen wir dadurch nicht vorwärts. So endet der ein oder andere Fahrradtag mit der Suche nach Trinkwasser und einem geeigneten Platz für unser Zelt, da wir entweder den geplanten Campingplatz oder die Fähre nicht rechtzeitig erreicht haben.
Das Jedermannsrecht gilt durch und durch
Zum Glück gilt in Finnland für Zeltcamper das Jedermannsrecht. Dies erlaubt nicht nur das Übernachten unter freiem Himmel, sondern man darf auch nach Herzenslust Beeren und Pilze sammeln. Im August sind die Wälder voll mit leuchtend roten und blauen Vitaminperlen – eine willkommene Abwechslung zu unserem Trockenfutter. Durchschnittlich 500 Millionen Kilo Beeren wachsen pro Jahr in finnischen Wäldern. Kein Wunder, dass die Finnen so freizügig mit den Schätzen ihrer Natur sind. Auch für Fische gilt übrigens das Jedermannsrecht, wenn man mit Fangleine fischt. Klar, dass in jeder freien Minute die Rute ausgeworfen wird. Die dicken Barsche und Hechte retten dann auch so manch mageres Abendessen.
Nächste Etappe sind die äußeren Inseln Iniö und Houtskär. Zwar nimmt der Wind nicht ab, dafür aber Verkehr und Trubel. Weit ab vom Festland geht es hier ruhig und beschaulich zu. Die Szenerie wechselt zwischen karger Felsenlandschaft und saftig grünen Wiesen mit alten Holzkirchen und rot gestrichenen Bootshäusern. Für Abwechslung sorgen nicht nur Museen, Burgen und Ruinen, sondern auch interessante Ausstellungen, kleine Bauernläden oder Leuchttürme.

Highlight und Motivation bleiben aber ganz klar die Fährfahrten. Regengüssen und Gegenwind zum Trotz treten unsere Jüngsten in die Pedale, um Erster am Anleger zu sein. Schließlich ist es eine verantwortungsvolle Aufgabe, den Call-a-Ferry-Knopf zu drücken und damit die Kabelfähre vom anderen Ufer herzuholen. Und so schieben wir unzählige Male unsere vollgepackten Räder in den Bauch der Fähren, zucken zusammen beim Knallen der Blechrampe auf den Asphalt, um dann jedes Mal von Neuem dieser einmaligen Komposition aus Grün und Blau zu verfallen.
Vom Wasser aus eröffnet sich der weitläufige Inselgarten in seiner ganzen Schönheit. Während manche Schären an einen felsigen Nilpferdrücken erinnern, bezaubern andere mit sanften Feldern oder dunklen Wäldern. Ein nicht enden wollendes Mosaik. Man ahnt schon, dass es hier mehr Inseln als Leute gibt.
Unsere kreisförmige Strecke ist so geplant, dass wir an keinem Punkt zweimal entlangfahren und abseits der Hauptroute den ursprünglichen Charakter dieser Gegend erspüren können. Dann verwandelt sich der Asphalt zwar oft in eine Schotterpiste, dafür werden wir mit Traumplätzen belohnt. Grob dem Ringweg über Korpo nach Nagu und weiter Richtung Pargas folgend, lassen wir uns von Wind und Wetter, Zimtschnecken und Sauna treiben.
Die Erholung liegt in der Einfachheit
Was gibt es Schöneres, als sich nach einem durchnässten Regentag in einer der zwei Millionen finnischen Saunen aufzuwärmen. Sauna und Finnland gehören genauso zusammen wie ihre Liebe zur Natur. Viel mehr braucht man nicht. Und um ehrlich zu sein, gibt es auch nicht viel mehr. Das Talent Finnlands liegt in dieser Einfachheit. Ein Bootssteg, das Meer vor der Tür und ein paar Schafe reichen auch Jill und Heikki in der Nähe von Pargas für ihr Paradies.

Stentorp, die kleine Schafsfarm am Meer, erwartet uns mit einer urigen gelben Gästevilla, zwei überaus herzlichen Gastgebern und freundlichen Finnlandschafen, die entspannt am Strand entlang-spazieren. Einmal am Tag bringt Heikki sie auf eine benachbarte Insel zum Weiden: mit dem Boot! So selbstverständlich, wie Jill abends die Sauna einheizt und uns Würstchen und Bier in die Hand drückt. „Ein Saunagang ist bei uns wunderbar einfach“, erklärt sie. „Man bleibt so lange in der Sauna, wie man will, hüpft zur Abkühlung ins Meer, geht wieder hinein und isst zwischendurch ein paar Würstchen.“
Und bevor uns der Archipelago Trail über das kleine Städtchen Kaarina wieder zurück in den quirligen Alltag bringt, genießen wir die Stille und Ruhe an diesem friedlichen Ort. Einfach nur die Blicke über diese wunderbare Landschaft schweifen lassen, am Steg sitzen, vorbeituckernde Boote beobachten, zwischendurch ein paar Blaubeeren sammeln, Schafe kuscheln, angeln. Das Aufregendste liegt im Einfachen.
Die Route
Start und Zielort des Archipelago Trail ist Turku, mit Auto oder Zug ca. 2,5 Stunden südwestlich von Helsinki. Die Schären-Tour kann in beiden Richtungen befahren werden und ist durch das braune Hinweisschild Saariston Rengastie/Skärgårdens Ringväg gut gekennzeichnet. Einmal gestartet fährt man 190 km auf gut ausgebauten Radstrecken und weitere 50 km per Fähre auf dem Wasserweg. Unsere Strecke: Turku – Naantali – Teersalo – (Fähre) – Hakkenpää – Taivassalo – Kustavi – Heponiemi – (Fähre) – Inio – (Fähre) – Houtskär (mehrere Fähren) – Korpo – (Fähre) – Nauvo – (Fähre) – Parainen – Kaarina – Turku.
Reise- und Camping-Tipps für Finnlands Westküste
Lage: Das Schärenmeer mit über 25 000 Inseln und Klippen liegt vor der Südwestküste Finnlands und ist Teil der Ostsee. Die einzelnen Inseln sind durch die Schärenringstraße, auf Finnisch Saariston Rengastie, über Brücken und Fähren miteinander verbunden. Vorgelagert der Stadt Turku, wird der Archipel gemeinhin auch als „Turkuer Schären“ bezeichnet. Durch die Historie und die Nähe zu Schweden haben viele Orte und Inseln in diesem Teil Finnlands einen schwedischen und einen finnischen Namen.
Anreise mit dem Flugzeug: Nonstop-Flüge aus Deutschland nach Helsinki bieten Lufthansa, Airberlin oder Finnair mehrmals wöchentlich an. Lufthansa nimmt Fahrräder als Sperrgepäck für 50,– €/Flug mit. Mit der Fähre: Die Reederei Finnlines fährt täglich ab Travemünde nach Helsinki in ca. 29 Stunden. 2 x die Woche auch ab Rostock (www.finnlines.com). Alternativ von Travemünde nach Malmö (Schweden), von dort in ca. 7 Std. mit dem eigenen Fahrzeug bis Kapellskär (bei Stockholm) und weiter mit der Fähre nach Naantali (20 Minuten von Turku entfernt). Verbindung Helsinki–Turku: mit Bahn, Bus oder Auto in ca. 2,5 Stunden. Bahn: mehrmals täglich, auch direkt vom Flughafen. Fahrradmitnahme möglich (5,– €). Reservierung wird empfohlen (www.vr.fi), Bus: mehrmals täglich, Fahrradmitnahme möglich (www.expressbus.fi/en/timetables-and-tickets oder www.pohjolanliikenne.fi).

Camping: In Finnland gilt das Jedermannsrecht, das unter bestimmten Bedingungen Zelten in freier Natur erlaubt. Es gibt auf den Schären aber auch einige kleine, recht unterschiedlich ausgestattete Campingplätze: Naantali: Naantali Camping, Leirintäalueentie 1 (www.naantalinmatkailu.fi), Iniö: Bruddalsviken Camping, Björklunds båtslip, Norrby (www.bjorklundbatslip.fi), Houtskär: Saariston Lomakeskus Holdiday Center, Mossala (www.saaristonlomakeskus.fi), Nagu/Nauvo: Grännäs Homestead, Uttistentie 27 (www.grannashomestead.fi), Pargas/Parainen: Solliden Camping, Solstrand 7 (www.solliden.fi).
Touristen-Information: Aurakatu 4, 20100 Turku, Telefon: 00 35 82/2 62 74 44 (www.visitturku.fi). Hier gibt es detaillierte Fahrradkarten und den Fahrplan der Fähren (wichtig!). Fähren: http://lautta.net. Hilfreiche und praktische Informationen, Kartenmaterial und Wetterbericht über den Archipelago Trail gibt es auf www.saaristo.org und www.saaristonrengastie.fi. Allgemeine Reiseinformationen über Finnland findet man unter: www.visitfinland.com